Ampel- Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP – Was steht drin für unbegleitete minderjährige Geflüchtete?

„Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Mit einer aktiven und ordnenden Politik wollen wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten.“ (Koalitionsvertrag)

ABER WAS KÖNNEN UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE GEFLÜCHTETE ERWARTEN?

Im Vertrag gibt es eine Reihe von Ankündigungen für Änderungen im Aufenthaltsgesetz, dies es einfacher machen können, ein vom Asylrecht unabhängiges Bleiberecht zu erhalten.

BLEIBERECHT FÜR „GUT INTEGRIERTE JUGENDLICHE UND HERANWACHSENDE“ IN § 25A SOLL VERBESSERT WERDEN:

 „Gut integrierte Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen (§ 25a Aufenthaltsgesetz, AufenthG).“

Bislang verlangt das Bleiberecht für „gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende“ in § 25a einen Mindestvoraufenthalt von 4 Jahren und muss der Antrag vor dem 21. Lebensjahr gestellt werden. Dies konnten bislang viele „UMF“ nicht schaffen, da sie wegen der katastrophalen Situation in ihren Herkunftsländern, bewaffneter Konflikte, Vertreibungen sowie wegen der teilweise jahrelangen Flucht haben häufig die Schule nicht kontinuierlich besucht haben und daher zunächst (Ausbildungs-) Defizite aufholen müssen. Dennoch erlernen viele von ihnen in erstaunlich kurzer Zeit Deutsch, besuchen mit Erfolg die Schule und/oder haben bereits den Einstieg in eine berufliche Qualifizierung erlangt – scheitern aber an den Voraussetzungen des § 25a, weil sie diese „Integrationsleistungen“ nicht bis zum 21 Geburtstag erbringen können.

Hier ist die angekündigte Ausweitung bis zum 27. Geburtstag eine wichtige Verbesserung. Und auch ein reduzierter Voraufenthalt von 3 Jahren erleichtert den Einstieg in ein humanes Bleiberecht. Besser wäre es dennoch weiterhin, UMF bereits ab Einreise ein humanitäres Aufenthaltsrecht zu erteilen, damit sie in Ruhe ankommen und sich hier integrieren können.

In § 25b, der „Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration“ sollen für zuvor Geduldete die Fristen für die Erlangung des humanitären Aufenthaltstitels von bislang 8 auf 6 Jahre (Alleinstehende) bzw. 4 statt 6 Jahr bei Familien reduziert werden. Dies könnte für Minderjährige, die mit ihren Familien hier leben die Chancen erhöhen, früher Bleiberecht zu erlangen, wenn die „Integrationsleistungen“ im § 25b (Sprachkenntnisse, Schulbesuch, teilweise Sicherung des Lebensunterhaltes, keine nennenswerten Straftaten) erfüllt sind.

KETTENDULDUNGEN SOLLEN ABGESCHAFFT WERDEN

Wie schon andere Regierungen zuvor, will die neue Koalition die „Kettenduldungen“ abschaffen – mit einem stichtagsbezogenen „Chancen-Aufenthaltsrecht“: „Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen (insbesondere Lebensunterhaltssicherung und Identitätsnachweis gemäß §§ 25 a und b AufenthG).“

Anders als bisherige Bleiberechtsregelungen soll hier ein „Probe-Aufenthaltsrecht“ von einem Jahr erteilt werden, auch wenn weder die Identität geklärt noch der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies wäre tatsächlich ein Paradigmenwechsel, wenn erst der Aufenthalt erteilt wird und dann Zeit gegeben wird, Arbeit zu finden, Identität zu klären und einen Pass zu beschaffen. Bislang war es immer umgekehrt: erst Pass vorlegen, Arbeitsplatzzusage beibringen, dann humanitärer Aufenthalt.

Die Erteilung einer „Probe-Aufenthaltserlaubnis“ könnte den Betroffenen Sicherheit geben, dass es mit dem Bleiberecht von seiten des Staates ernst gemeint ist. Und sie von der Sorge befreien, mit der Beschaffung eines Reisepasses die Voraussetzung für die eigene Abschiebung zu schaffen.

Die geplante Regelung soll aber nur diejenigen begünstigen, die am 1. Januar 2022 bereits seit 5 Jahren in Deutschland leben, also spätestens am 31. Dezember 2016 nach Deutschland eingereist sind. Darunter könnten allerdings viele Afghan:innen sein, die 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind, deren Asylanträge aber wegen der extrem restriktiven Praxis des BAMF abgelehnt worden sind und die jetzt nur geduldet werden.

AUSBILDUNGS-ERLAUBNIS STATT AUSBILDUNGS-DULDUNG

Die bisherige „Ausbildungsduldung“ (§ 60c) soll offenbar in eine „Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis“ überführt werden, um „Geduldeten in der Ausbildung und ihren Betrieben mehr Rechtssicherheit zu verleihen.“

ABSCHAFFUNG DER DULDUNG LIGHT:

Die erst Ende 2019 neu eingeführte „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ (§ 60b) will die Koalition wieder abschaffen: „Duldung light schaffen wir ab“. Der bislang als Kampfbegriff der Anti-Abschiebe-Industrie gebrandmarkte Begriff der „Duldung light“ ist damit zu einer offiziellen Bezeichnung geworden, bevor er hoffentlich möglichst rasch der juristischen Vergangenheit angehört. Eine Duldung nach § 60 b haben - jedenfalls in Berlin - die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten nicht erhalten, da ihnen – wegen Minderjährigkeit  - nicht vorgehalten werden kann, dass ihre „Abschiebung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden“ konnte. Trotz geplanter Abschaffung des § 60b bleibt es aber dabei, dass – wie bisher – Duldungszeiten nicht auf ein Bleiberecht angerechnet werden, wenn die Betroffenen „nicht zur Klärung ihrer Identität beitragen“.

EIDESSTATTLICHE VERSICHERUNG ZUR IDENTITÄTSKLÄRUNG

Um die Identität zu klären, will die Koalition eine gesetzliche Regelung einführen, wonach auch „eine Versicherung an Eides statt“ hierzu abgeben werden kann – dies ist auch bislang möglich, wird aber nur in den allerwenigsten Fällen von Ausländerbehörden anerkannt. Es bleibt abzuwarten, wie hoch die gesetzliche Hürde der Passbeschaffungsbemühungen gelegt wird, bevor – bei Scheitern aller anderen Bemühungen – eine eidesstattliche Versicherung als ausreichend anerkannt wird.

 OPFER VON MENSCHENHANDEL

„Opfer von Menschenhandel sollen ein Aufenthaltsrecht unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft erhalten.“ Bislang war die Aufenthaltserlaubnis in § 25 Abs. 4a AufenthG für Betroffene von Menschenhandel allein an die Interessen der Strafverfolgung gekoppelt: wer für ein Strafverfahren nicht mehr benötigt wurde, hatte kaum eine Chance auf ein humanitäres Bleiberecht. Hier bleibt abzuwarten, ob die Koppelung an das Strafverfahren insgesamt wegfällt oder lediglich die „Aussagebereitschaft“ nicht mehr zwingend erforderlich ist. Diese Vorschrift kann gerade auch jungen Geflüchteten zu Gute kommen, die zunehmend auf den Fluchtrouten aber auch in Deutschland von Menschenhandel betroffen sind.

 FAMILIENNACHZUG

Eine gute Nachricht gibt es für den Familiennachzug zu Geflüchteten: die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten sollte wieder genauso wie zu anerkannten Geflüchteten nach der Genfer Flüchtlingskonvention möglich sein, also nicht mehr im Ermessen stehen, sondern als Rechtsanspruch ausgestaltet werden. Und: dürfen die Eltern von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten nachziehen, will die Koalition die „minderjährigen Geschwister nicht zurücklassen“. Was allerdings bedeutet, dass volljährige Geschwister ausgeschlossen bleiben – seien sie auch gerade erst 18 geworden und noch ledig und im Familienverband lebend. Unter welchen Voraussetzungen der Nachzug der minderjährigen Geschwister ermöglicht werden soll, bleibt noch völlig unkonkret. Die Koalition will auch „die Visavergabe beschleunigen und verstärkt digitalisieren.“ Um längerfristige Familientrennungen zu vermeiden muss gerade hier viel in die Visastellen investiert werden, denn derzeit dauern die Familiennachzugsverfahren alleine wegen der langen Wartezeiten bei den Botschaften für einen Vorsprachetermin teilweise jahrelang.

PSYCHOSOZIALE HILFE FÜR GEFLÜCHTETE

Für uns als psychosoziales Zentrum ist die Aussage wichtig, dass die Koalition es erforderlich hält, die „psychosoziale Hilfe für geflüchtete Menschen zu verstetigen“ und „vulnerable Gruppen von Anfang an identifiziert und besonders unterstützt“ werden sollen. Angesichts des in den vergangenen Jahren erheblich gewachsenen Bedarfes an therapeutischer Unterstützung für traumatisierte Geflüchtete ist eine bloße „Verstetigung“ nicht ausreichend, vielmehr müssen zusätzliche Kapazitäten zur Versorgung der besonders Vulnerablen geschaffen werden.

Eine Bewertung von XENION über die Bedeutung des Koalitionsvertrages für geflüchtete Menschen in Deutschland ist hier.

Eine Einschätzung vieler anderer Punkte des Vertrages im Bereich Migration - “Zwischen linker Erneuerung und rechtem Mief” findet sich hier.

Der Koalitionsvertrag in Gänze zum Download!

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25 Jahre akinda – 25 Jahre Engagement für unbegleitete minderjährige Geflüchtete

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Neuer Koalitionsvertrag im Land Berlin von RotGrünRot – was steht drin für UMF?