• „Es passiert kaum, dass Jugendliche ihre Bedürfnisse äußern können“ - Berliner Flüchtlingsrat kritisiert Umgang mit jungen Geflüchteten

  • 1.                 Inobhutnahme

     

    Jugendliche, die in Berlin ankommen und nicht durch eine Person, welche die Personensorge trägt, begleitet werden, werden auf Grundlage des § 42a SGB VIII vorläufig durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Obhut genommen. Das bedeutet, dass sich Jugendliche entweder selbst an die Polizei, das Jugendamt oder andere Behörden wenden können oder von anderen Personen dorthin gebracht werden. Die Jugendlichen werden dann an die Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der Prinzregentenstr. 24 verwiesen. Auch Jugendliche, die durch die Polizei, die Bahnhofsmission oder andere Personen als unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufgegriffen und identifiziert werden, werden zur EAC gebracht, um dort in Obhut genommen zu werden.

    Inobhutnahme durch Jugendamt § 42 (3) SGB VIII:

             „Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.“

    Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme wird in Berlin eine Alterseinschätzung per Inaugenscheinnahme durchgeführt, soweit keine Ausweispapiere oder andere Personaldokumente vorliegen. Personen, die als über 18-Jährige identifiziert werden, werden an die Erstaufnahme für Erwachsene verwiesen, für Personen unter 18 Jahren beginnt mit der vorläufigen Inobhutnahme formal das sogenannte Vorclearing- und ggf. anschließend das Clearingverfahren.

     

    2.                 Vorclearing- und Clearingverfahren

     

    Im Clearingverfahren soll innerhalb von drei Monaten die Lebens- und Bedarfssituation der Jugendlichen geklärt werden, um im Anschluss eine individuell zugeschnittene, bedarfsorientierte Unterbringung, Beschulung und Versorgung der Jugendlichen zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Bestellung eines:einer Vormund:in.

    Dem Clearingverfahren ist das sogenannte Vorclearing vorangestellt, bei dem geprüft wird, ob eine Verteilung auf ein anderes Bundesland erfolgt oder ob Gründe wie das Kindeswohl gegen eine Umverteilung sprechen. Diese Entscheidung sollte innerhalb weniger Tage getroffen werden. (siehe § 42b SGB VIII)

    In den vergangenen Jahren haben verschiedene Faktoren immer wieder dazu geführt, dass die Dauer und der Ablauf des Vorclearing- und Clearingverfahrens von gesetzlichen Regelfall stark abweichen und zeitlich deutlich länger dauern.  Für neuankommende Jugendliche bedeutete dies ein extrem langes Verbleiben im Vorclearing- und Clearingverfahren, teilweise abgesenkte Betreuungsstandards, über Monate keinen Schulplatz und auch keinen von einem Gericht bestellten Vormund. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie agiert in dieser Zeit als Landesjugendamt und ist für die Unterbringung, Gesundheitsversorgung und rechtliche Vertretung der Jugendlichen zuständig.

    Clearingverfahren bedeutet Perspektivklärung im Rahmen der Inobhutnahme, also u.a. die Klärung des Hilfebedarfs, des Gesundheitszustands, der rechtlichen Vertretung sowie der anschließenden bedarfsgerechten Unterbringung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Im Rahmen des Clearings werden die untenstehenden Aspekte im Leben des Jugendlichen eingehend betrachtet, und nötige Behandlungen werden durchgeführt.

    Im Clearing:

     

    Im Rahmen des Clearings stellt das Familiengerecht das Ruhen der elterlichen Sorge fest. Daraufhin wird eine Vormundschaft angeregt, die in den meisten Fällen erstmal durch eine:n Amtsvormund:in ausgeübt wird. Amtsvormund:innen sind Mitarbeiter:nnen des Jugendamtes, welche nach Maßgabe des Gesetzes maximal 50 Vormundschaften für Jugendliche führen dürfen.

    Nach Abschluss des Clearings geht die Zuständigkeit für den jungen Mensch von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) auf ein bezirkliches Jugendamt über. Die Zuordnung erfolgt dabei nicht nach dem Wohnort des Jugendlichen, sondern nach dessen Geburtsmonat. Das zugeordnete bezirkliche Jugendamt ist ab diesem Zeitpunkt für die adäquate Unterbringung und Installation geeigneter Hilfen für den jungen Mensch zuständig und wechselt auch bei Folgeumzügen nicht mehr in seiner Zuständigkeit.

    Der:Die eingesetzte Vormund:in beantragt formal die Hilfen zur Erziehung (HzE) nach § 27 SGB VIII. Das bedeutet, dass beim Jugendamt die Finanzierung einer Unterbringung in einer sozialpädagogisch betreuten Einrichtung der Jugendhilfe beantragt wird. Das Jugendamt ist verpflichtet, die Jugendlichen bedarfsgerecht unterzubringen. Was eine angemessene Unterbringung ist, ist zum einen in den Mindeststandards definiert und muss sich zum anderen an den individuellen Bedarfen der Jugendlichen orientieren, welche im Rahmen des Clearingprozesses ermittelt wurden. Daher gibt es verschiedene Unterbringungsformen, die den verschiedenen Bedarfen gerecht werden sollen.

     

    3.                 Unterbringung/Jugendhilfeeinrichtung

     

    Das zuständige Jugendamt ist für die Unterbringung der Jugendlichen zuständig. Das Jugendamt selbst betreibt keine Einrichtungen zur Unterbringung, sondern hat dazu freie Träger der Jugendhilfe beauftragt. Diese Träger stellen Wohnungen oder Gebäude bereit und beschäftigen zugleich Sozialpädagog:innen, welche die alltägliche Betreuung der Jugendlichen übernehmen.

    Jüngere Jugendliche oder ältere Kinder benötigen zumeist eine Unterbringung, wo sie 24/7 eine Ansprechperson vor Ort haben, an die sie sich mit Fragen und ihren Bedürfnissen wenden können. Meist sind das Unterbringungen, die ähnlichen dem klassischen „Kinderheim“ rund-um-die-Uhr Betreuung bieten, gleichzeitig Vollverpflegung haben und viele Freizeitangebote anbieten. Die Kinder und jüngeren Jugendlichen werden in vielen Lebensbereichen unterstützt und begleitet. Meist gibt es mehrere Betreuer:innen, die die Kinder aus dem alltäglichen Kontakt gut kennen.

    Ältere Jugendliche, die bereits selbstständiger sind und auch in ihrer Selbstständigkeit unterstützt werden sollen, leben zumeist in betreuten WGs mit betreuungsfreien Zeiten. Das bedeutet, dass Betreuer:innen tagsüber vor Ort sind, aber über Nacht und am Wochenende die Jugendlichen dort allein wohnen. Für Notfälle gibt es in der Regel eine Nachtbereitschaft oder telefonische Rufbereitschaft. Die Jugendlichen versorgen und verpflegen sich in diesen WGs selbst, das heißt, sie putzen, kaufen ein und kochen für sich selbst oder gemeinsam als WG.

    Ältere Jugendliche, die bereits etwas länger in Berlin sind, Deutschkenntnisse haben, bereits selbstständiger sind und relativ stabile Strukturen aufgebaut haben, können auch im betreuten Einzelwohnen leben. Dort wohnen sie meist in einer Einzimmerwohnung und sorgen im Alltag für sich allein. Mit ihren Betreuer:innen treffen sie sich weiterhin regelmäßig, allerdings nur noch zu einzelnen Terminen für Absprachen und Hilfen.

    Die Unterbringung in einer Pflegefamilie besteht als Option gerade für jüngere Kinder und Jugendliche, ist jedoch in der Praxis von akinda irrelevant, da nur in äußerst seltenen Fällen vorkommend.

    4.                 Das Jugendamt

    Die drei für die Vormundschaft wichtigsten Akteure des Jugendamtes sind der Regionalsozialpädagogische Dienst, die wirtschaftliche Jugendhilfe und die Jugendberufsagentur.

    Der Regionalsozialpädagogische Dienst (RSD) ist der Basisdienst des Jugendamtes. Er hat die Aufgaben, den jungen Menschen in seiner Entwicklung zu fördern, ihn vor Gefahren zu schützen und die Betreuer:innen und den:die Vormund:in zu beraten und zu unterstützen. Jede:r Jugendliche bekommt eine:n zuständige:n Sozialarbeiter:in des RSD zugewiesen, der:die das Hilfeplanverfahren führt und im Idealfall gewährleistet, dass die Jugendlichen die Betreuung und Förderung bekommen, die sie bedürfen. Diese Person ist damit auch die Ansprechperson für die Betreuer:innen und den:die Vormund:in des jungen Mensch. Wie das praktisch aussieht, wie der Ablauf ist und welche Rolle die Hilfeplanung spielt, siehe im Kapitel „Jugendhilfekonferenz“.

    Der Regionalsozialpädagogische Dienst (RSD):

    •          stellt Jugendhilfebedarf fest

    •          führt die Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII durch

    •          findet die notwendigen und geeigneten Hilfen/Einrichtungen/Therapien

    •          kooperiert mit anderen Jugendhilfeträgern

    •          gewährt Annexleistungen

     

    All diese Aufgaben sollte der RSD im Idealfall unter Einbeziehung der Wünsche und Ziele des jungen Menschen sowie in Absprache mit den Betreuer:innen und anderen Fachkräften ausführen. Für Jugendliche ist es oftmals schwer ihre eigene Perspektive, ihre Wünsche und Bedarfe deutlich gegenüber dem Jugendamt zu formulieren. Vormund:innen kommt daher eine entscheidende Rolle in der Hilfeplankonferenz zu: die Interessenvertretung und parteiische Unterstützung ihres Mündels.

    Wirtschaftliche Jugendhilfe:

    Die wirtschaftliche Jugendhilfe bewilligt und zahlt die finanziellen Unterstützungsleistungen, welche den Jugendlichen zugesprochen werden. Die wirtschaftliche Jugendhilfe finanziert die Unterbringung der Jugendlichen und die Betreuung mittels des Jugendhilfeträgers. Dazu zählt die wirtschaftliche Jugendhilfe einen festen Satz an den Träger der Jugendhilfeeinrichtung, in der diese untergebracht sind. Dieser Satz richtet sich nach der Unterbringungs- und Betreuungsform und deckt auch das Gehalt der betreuenden Mitarbeiter:innen ab. Bei 24/7-Betreuung liegt der Satz entsprechend höher als bei der Unterbringung im betreuten Einzelwohnen mit sehr wenigen Betreuungsstunden.

    Aufgaben der wirtschaftlichen Jugendhilfe:

    •          Kostenübernahmen für HzE

    •          Auszahlung der Hilfe zum Lebensunterhalt (HzL)

    •          Krankenversicherung

    •          Auszahlung von Kostenpauschalen

    •          ggf. Kostenheranziehung

     

    Die Auszahlung der Hilfe zum Lebensunterhalt erfolgt durch die Betreuenden in den Jugendhilfeeinrichtungen nach pädagogischen Gesichtspunkten. Die Höhe der Auszahlung richtet sich dabei nach der Unterbringungsform. Kinder und jüngere Jugendliche, welche in einer 24 Stunden-Einrichtung untergebracht sind und Vollverpflegung erhalten bekommen ein Taschengeld ausgezahlt, welches sich nach dem Alter richtet. Ältere und selbstständigere Jugendliche in Wohngruppen und im Einzelwohnen, die selbst ihren Haushalt führen müssen, erhalten die Hilfe zum Lebensunterhalt ausgezahlt.

    Die Höhe entspricht der Regelbedarfsstufe 1 gem. Anlage zu § 28 SGB XII, was derzeit 563 € im Monat entspricht.

    Junge Menschen müssen aus ihrem Regelsatz unter anderem Folgendes finanzieren:

    • Ernährung

    • Kleidung

    • Körperpflege

    • Hausrat

    • Haushaltsenergie, z.B. elektrischen Strom und Gas zum Kochen (ohne Heizung und Warmwasser aus der Heizanlage)

    • Medikamente und Zuzahlungen zu Medikamenten

    • Mobilität, z.B. mit PKW, Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln

    • Internet, Telefon und Post

    • Freizeit, Unterhaltung (inklusive Spielwaren), Kultur, Sport

    • Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Fernsehen

    • Bildung

    • Hygieneartikel

    • Gaststättenbesuche, Urlaub

    Krankenkasse:

    Das Jugendamt ist für den Abschluss und Finanzierung einer Krankenversicherung für die Jugendlichen zuständig. Bei Verzögerungen oder bei abgelaufenen Krankenkassenkarten ist somit das Jugendamt (wirtschaftliche Jugendhilfe) zu adressieren. Die Jugendlichen werden über eine der großen gesetzlichen Krankenkassen versichert.

     

    Die Jugendberufsagentur:

    Die Jugendberufsagentur ist ein wichtiger Ansprechpartner für Vormund:innen, wenn es um die Möglichkeiten nach der Willkommensklasse, bei der Berufs- und Ausbildungswahl, bei der Berufsorientierung oder schulnahen Projekten geht.

    Insbesondere für Jugendliche aus Ländern mit unsicheren Aussichten im Asylverfahren ist eine frühzeitige Beschäftigung mit schulischen und beruflichen Möglichkeiten dringend geboten. Oftmals ist über eine Ausbildung eine Verstetigung des Aufenthalts möglich, auch wenn der Asylantrag abgelehnt wird (Ausbildungsduldung).

     

    5.                 Hilfeplanverfahren

    Das Hilfeplanverfahren nimmt einen zentralen Teil in der Vormundschaft ein. Grundsätzlich sollte die Hilfeplankonferenz (HK) immer frühzeitig vor Ende des Bewilligungszeitraums der Hilfen zur Erziehung stattfinden. In der Regel ist ein sechsmonatiger Rhythmus sinnvoll. Je nach Situation der Jugendlichen und der Auslastung der Mitarbeiter:innen des RSD finden Hilfeplankonferenzen aber auch mit deutlich längeren Abständen statt. Bei akuten Anliegen/Krisen, die dringend mit dem Jugendamt besprochen werden sollten, können/sollten Betreuer:innen der Einrichtung, Jugendliche selbst und auch Vormund:innen eine sogenannte Zwischen-HK verlangen.

    Die erste Hilfeplankonferenz sollte grundsätzlich kurz nach dem Einzug des:der Jugendlichen in seine:ihre dauerhafte Jugendhilfeeinrichtung erfolgen. Die Grundlage der ersten Hilfekonferenz ist der Abschlussbericht des Clearings, in dem alle Bedarfe, Wünsche, Ziele und Vereinbarungen niedergeschrieben sind.

    An der Hilfeplankonferenz sollten teilnehmen: zuständige:r Mitarbeiter:in des RSD (der:die auch dazu einlädt), der junge Mensch, um den es geht, Vormund:in, Betreuer:in der Jugendhilfeeinrichtung + ggf. Sprachmittler:in. Zudem ist es möglich, bei Bedarf andere Fachkräfte oder einen von dem:der Jugendlichen gewünschten Beistand dazu einzuladen.

    Das Ziel der Hilfeplankonferenz ist es einen Hilfeplan für den:die Jugendliche:n zu erstellen. Der Plan wird nach Input aller Verfahrensberechtigter erstellt. Die Jugendhilfeeinrichtung, also eine:r der Betreuer:innen, erstellt einen Entwicklungsbericht über den vergangenen Hilfezeitraum, in dem die Situation des:der Jugendlichen beschrieben und die zuvor vereinbarten Ziele ausgewertet werden. Der Entwicklungsbericht enthält ebenfalls Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung der Hilfe. Der Bericht basiert auf den Einschätzungen der Betreuer:innen aus dem alltäglichen Umgang und bildet den Bereich der alltäglichen Sorge ab.

    Der Entwicklungsbericht wird von den Betreuer:innen mit den Jugendlichen besprochen, sodass diese im Idealfall auch ihre eventuell abweichende Perspektive einfließen lassen können. Anschließend wird der Bericht an die zuständige Fachkraft des RSD gesendet und bildet damit die Informationsgrundlage für die HK. Vormund:innen sollten den Entwicklungsbericht ebenfalls unbedingt vor der HK erhalten und lesen.

    Grundsätzlich gilt bei der Erstellung eines Jugendhilfeplans:

    ·         Art der Hilfen/Leistungen richten sich nach dem individuellen Bedarf

    ·         Junger Mensch muss gehört werden, darf Wünsche äußern; diese müssen berücksichtigt werden (Wunsch- und Wahlrecht §5 SGB VIII)

    ·         Möglichst konkrete Ziele und Vereinbarungen treffen

    ·         Die Vereinbarungen und Ziel werden schriftlich festgehalten. Ihr unterschreibt, achtet auf Formulierungen. Sprecht an, wenn ihr etwas anders verstanden habt.

    Der Hilfeplan bildet die Grundlage der Förderung und Unterstützung der Jugendlichen für den anstehenden Hilfezeitraum. Man kann auch bei zu stellenden Anträgen auf den Hilfeplan als Argumentationslage zurückgreifen. Daher ist es eine der wichtigsten Aufgaben in der Vormundschaft, die Hilfeplankonferenzen mit Beiträgen und Eintreten für die Jugendlichen aktiv mitzugestalten. Die Aufgabe des:der Vormund:in bei der Hilfeplankonferenz und Planung liegt darin, den Wünschen und Bedarfen des:der Jugendlichen Gehör zu verschaffen. Es ist ratsam, sich bereits vor der Konferenz mit dem:der Jugendlichen zusammenzusetzen, seine:ihre Ideen und Wünsche zu besprechen, sich Eindrücke von den Betreuer:innen einzuholen. Zudem sollte der Bericht der Betreuer:innen vor der Konferenz gelesen werden.

    Es gibt in der Jugendhilfe, anders als im Sozialrecht, keine Mitwirkungspflicht. Das bedeutet, dass wenn der Jugendliche in der Hilfeplankonferenz gesetzte Ziele nicht umsetzt, ihm daraus kein Nachteil entstehen darf und dass auch kein Anlass sein darf, zukünftig Förderungen zu streichen oder nicht zu bewilligen. Jugendliche befinden sich in einem Entwicklungsprozess, der oft nicht geradlinig verläuft und daher Änderungen in den Wünschen und Zielen der Jugendlichen auftreten können. Es ist wichtig, den Jugendlichen dabei Orientierung zu geben, ohne sie gezielt in eine von Vormund:in oder den Betreuer:innen gewünschte Richtung zu lenken. Eine Zielvereinbarung, die nicht den Wünschen, Bedarfen und Bedürfnissen des:der Jugendlichen entspricht, wird diese:r vermutlich nicht umsetzen. Daher ist die Einbeziehung der Wünsche der Jugendlichen wichtig, um Ziele zu erreichen.

    Die Hilfekonferenz (HK) muss am Anfang jeder Hilfe und bei Fortschreibung spätestens sechs Wochen vor Beendigung der Hilfe stattfinden.

     

    6.                 Aufgaben der Jugendhilfeeinrichtung/der Betreuer:innen:

    Die Aufgaben der Betreuer:innen in den Jugendhilfeeinrichtungen beschränken sich auf den Bereich der Alltagssorge. Die Betreuer:innen sollen die Jugendlichen in der Bewältigung des alltäglichen Lebens begleiten, sie in alltäglichen Situationen bei der selbstständigen Bewältigung von altersangemessenen Aufgaben fördern und sicherstellen, dass die Jugendlichen sich entwickeln und an der Gesellschaft teilhaben kann. 

    Alltagssorge:

    Die meisten Jugendhilfeeinrichtungen haben ein Bezugsbetreuer:innen–System. Jugendliche haben jeweils eine zugeordnete Betreuungsperson, die mit ihrer Situation gut vertraut ist. Sie ist auch eine wichtige Ansprechperson für Vormund:in und ein stetiger Austausch ist sehr empfehlenswert. Der:die Betreuer:in sieht den jungen Menschen regelmäßig im Alltag und kann Auskunft geben darüber, wie er:sie seinen:ihren Alltag bewältigt und ob es Schwierigkeiten gibt. Auch wenn die Betreuenden die Jugendlichen nicht täglich sehen, können sie sich einen Einblick in ihre Alltagswelt verschaffen, den Vormund:innen nicht haben, seien es Schwierigkeiten in der WG mit dem Putzplan, Probleme beim morgendlichen Aufstehen, ochkünsten oder Fleiß bei den Hausaufgaben.

    Wie die Jugendlichen betreut werden, ist abhängig vom Alter, Selbstständigkeit und derzeit auch Verfügbarkeit von Einrichtungsplätzen. Die meisten Jugendlichen, die von uns vermittelt sind, sind zwischen 15-17 Jahren alt und wohnen in WGs mit betreuungsfreien Zeiten. Allerdings kann es auch für Jugendliche in dieser Altersgruppe passend sein, in einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu wohnen, wenn z.B. Entwicklungsverzögerungen vorliegen oder psychische Herausforderungen es nötig machen, auch nachts oder am Wochenende eine:n Ansprechpartner:in zu haben. Wie die Betreuung im Einzelnen geregelt ist, variiert zudem von Einrichtung zu Einrichtung.

    Die Jugendlichen führen in den WGs teilweise einen gemeinsamen Haushalt und haben in den meisten Fällen einen gemeinsamen Putzplan. Das führt naturgemäß hin und wieder zu Konflikten, die jedoch meist durch die Betreuenden geregelt werden. In manchen WGs wird auch gemeinsam gekocht und eingekauft, das ist jedoch abhängig vom Kontakt der Jugendlichen untereinander und auch von Koch- und Essvorlieben. In den meisten WGs gibt es zudem durch die Betreuer:innen organisierte Gruppenabende, Ausflüge und im Sommer regelmäßig eine mehrtägige Gruppenreise.

    Die Jugendhilfeeinrichtung ist ein wichtiger Kooperationspartner in der Vormundschaft, daher sollte Vormund:in die Betreuer:in des:der Jugendlichen kennenlernen und gemeinsam entscheiden, wie sie die Zusammenarbeit gestalten. Einige Vormund:innen treffen die Betreuenden einmal im Monat in der Jugendhilfeeinrichtung, andere haben eher anlassbezogen Kontakt per Telefon. Hier ist entscheidend, welche Form des Kontakts am machbarsten und bedarfsgerecht ist.

    Wichtig beim Kennenlernen der Betreuer:innen ist auch, nochmal gemeinsam die Trennung der Aufgabenbereiche zu besprechen und die Unterscheidung von „Alltagssorge“ und „Grundsatzsorge“ praxisbezogen zu klären (siehe unten).

    Folgende Dinge sollten geklärt werden:

    ·         Über welche Dinge möchte ich als Vormund:in informiert werden?

    ·         Über welche Dinge möchte die:der Betreuer:in informiert werden?

    ·         Regelmäßiger Austausch? Wann und wie?

    ·         Umgang mit Konflikten mit dem:der Jugendlichen?

    Im kleinen Rahmen ist es dann auch möglich, für einzelne Bereiche Teilvollmachten für Betreuer:in auszustellen. Allerdings raten wir entschieden davon ab, Generalvollmachten für alle Bereiche auszustellen. Dies ist auch rechtlich nicht zulässig.

    Unterscheidung „Alltagssorge“ – „Grundsatzsorge“

    Vormund:in ist nicht für die alltägliche Sorge verantwortlich, diese liegt bei den Betreuer:innen der Einrichtung.

    Der:Dem Vormund:in obliegt die darüberstehende Sorge um das Wohl des Jugendlichen. Alle Bereiche, die Aspekte berühren, die über alltägliches hinausgehen, betreffen die:den Vormund:in. In erster Linie betrifft das die Bereiche Regelung des dauerhaften Aufenthalts, Berufswegplanung und Aufbau eines Berufsziels, grundsätzliche Sorge darum, dass es dem Jugendlichen in und mit der Betreuungsform gut geht und seine Bedarfe, Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt werden.

    Diese Bereiche im Fokus zu haben und in diesen Bereichen Stabilität und Zuverlässigkeit zu erreichen, ermöglicht es dem Jugendlichen in seiner Unterkunft, mit seinen Betreuern einen Alltag aufzubauen, der den Integrationsprozess fördert, Ziele im Leben schafft somit Grundlage ist, um in Deutschland ein selbstständiges und erfülltes Leben zu führen.

    Um diese Grundsatzsorge gut gewährleisten zu können, müssen Entscheidungen und Pläne immer in altersangemessener Weise mit den Jugendlichen besprochen werden. Diese müssen in die sie betreffenden Prozesse eingebunden werden und derart mit Informationen versorgt werden, dass sie angemessen daran partizipieren können.

     

     

    Grundsatzsorge:

    7.                 §35a SGB VIII Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder drohender seelischer Behinderung

     

    Im Rahmen des SGB VIII wird Kindern und Jugendlichen mit einer „(drohenden) seelischen Behinderung“ der Anspruch auf Eingliederungshilfe zugesprochen.

    Einige Jugendliche sind durch Erfahrungen im Herkunftsland, auf der Flucht und auch beim Ankommen in Berlin psychisch stark belastet, was in der Prüfung ihres jugendhilferechtlichen Bedarfs besonders berücksichtigt werden muss. Der § 35a SGB VIII eröffnet für die Jugendlichen weitere Hilfemöglichkeiten wie zum Beispiel die Unterbringung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft, die Finanzierung einer Psychotherapie über das Jugendamt, zusätzliche Einzelfallhilfe oder auch den längeren Verbleib in der stationären Jugendhilfe über die Volljährigkeit hinaus.

    Entscheidend für die Zuordnung des jungen Menschen zum Personenkreis nach §35a ist, dass eine (drohende) Abweichung vom für das Alter typischen Entwicklungsstand von voraussichtlich länger als sechs Monaten festgestellt wird.  Diese Feststellung gliedert sich in zwei Schritte:

    ·         Diagnostik nach ICD[1] 10/11 durch Ärzt:in/Psychotherapeut:in

    ·         und die Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung durch das Jugendamt/den RSD.  

    Zunächst braucht es ein Gutachten mit einer Diagnostik nach ICD 10/11 eines:einer Kinder- und Jugendpsychiater:in oder eines:einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:in. Sollte der junge Mensch noch nicht in psychotherapeutischer Behandlung sein, empfiehlt sich für eine Begutachtung und Empfehlung einen Termin beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) zu vereinbaren.

    Betreuer:innen oder Vormund:in sollten anschließend das Gutachten an die zuständige Fachkraft des Jugendamts senden und die Zuordnung zum § 35a SGB VIII damit beantragen. Das Jugendamt muss anschließend die Teilhabebeeinträchtigung des jungen Menschen feststellen. Dafür arbeiten die Jugendämter mit Fragekatalogen, die sich an Betreuer:innen, die Jugendlichen, aber teilweise auch Vormund:innen richten.

     


    [1] International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)

  • Description text goes here