Afghanistan – aktuelle Informationen und rechtliche Situation hier lebender Schutzsuchender
Viele afghanische Geflüchtete sind in großer Sorge um ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland. Die Bundesregierung setzt im Bereich Flucht und Migration in rasendem Tempo ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um: Sofort gestoppt wurden die freiwilligen Aufnahmeprogramme. Besonders davon betroffen das humanitäre Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghan:innen. Selbst bereits erteilte Aufnahmezusagen hat die Bundesregierung widerrufen. Betroffene wehren sich dagegen vor Gericht und haben bislang von den Verwaltungsgerichten häufig Recht bekommen. Die TAZ beschreibt in einem Kommentar die verzweifelte Situation Betroffener, die von Pakistan aus trotz Aufnahmezusage nach Afghanistan abgeschoben worden sind.
Im September hat die Bundesregierung zudem den Familiennachzug zu hier lebenden subsidiär Geschützen für zunächst 2 Jahre ausgesetzt. Auch wenn hiervon eher wenige afghanische Geflüchtete betroffen sind, da sie in der Vergangenheit zumeist nur ein Abschiebeverbot zugesprochen bekommen haben, mit dem Familiennachzug grundsätzlich ausgeschlossen ist, wirkt diese dennoch als integrationsfeindliches Signal.
Der Koalitionsvertrag hat auch eine „Rückführungsoffensive“ angekündigt und betont ausdrücklich: „Nach Afghanistan werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern.“ Im Juli erfolgte dann die Abschiebung von 81 Männern nach Kabul und aktuell führt die Bundesregierung auf Ministeriumsebene Verhandlungen mit dem völkerrechtlich geächteten Taliban-Regime, um regelmäßige Abschiebungen zu ermöglichen. Bereits im Juli hat die Bundesregierung zwei Taliban-Vertreter als Konsuln in Deutschland zugelassen. Diese sollen die Konsulate in Berlin und Bonn. In München arbeitet das Generalkonsulat schon seit längerer Zeit mit den extremistischen Machthabern in Kabul zusammen. Das Personal des afghanischen Generalkonsulats in Bonn hat dies zum Anlass genommen, jetzt geschlossen die Arbeit aufzukündigen. Das geht aus einer Pressemitteilung der Betroffenen hervor. Darin heißt es, das Personal sehe sich „außerstande, unseren Dienst unter diesen neuen Umständen fortzusetzen.“ Sie befürchten, dass den Taliban jetzt “persönliche Daten und Dokumente von Hunderttausenden afghanischer Staatsangehöriger, insbesondere jener, die im Rahmen internationaler Evakuierungs- und Umsiedlungsprogramme aus Afghanistan evakuiert wurden” in die Hände fallen.
BAMF: Immer mehr Asylablehnungen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bereits seit Jahresanfang seine Entscheidungspraxis drastisch zu Lasten der Schutzsuchenden verändert. Während im gesamten Jahr 2024 noch rund 75% aller Schutzsuchenden einen Schutzstatus vom BAMF zugesprochen bekommen hatten, sank diese Quote im ersten Halbjahr 2025 auf unter 50%. Besonders dramatisch der Einbruch bei den Asylanträgen von unbegleiteten Minderjährigen: hatten diese 2024 quasi zu 100% Schutz bekommen, sind es im ersten Halbjahr nur noch 75 %, Tendenz weiter sinkend. Und dies bei unverändert bzw. verschlimmerter humanitärer Lage in Afghanistan. Grund hierfür ist die Änderung der internen Weisungslage beim BAMF, wonach nicht mehr generell Abschiebungsverbote zugesprochen werden sollen, sondern bei “robusten” Personen davon auszugehen ist, dass sie in Afghanistan menschenwürdig Überleben können. Uns sind Fälle von unbegleiteten Minderjährigen bekannt, bei denen keine Familienangehörigen in Afghanistan mehr leben, denen aber eine Rückkehr zumutbar sein soll, weil z.B. die in Pakistan lebende Mutter Geld nach Kabul schicken könne. In der Rechtsprechung gibt es Entscheidungen, die der neuen Praxis des BAMF klar entgegenstehen. So hat das Verwaltungsgericht Würzburg im Mai 2025 entschieden, dass für einen 34 Jährigen gesunden und erwerbsfähigen Mann ein Abschiebungsverbot zu bejahen ist, weil ihm in Afghanistan Verelendung droht, obwohl er sogar bei seiner Familie unterkommen könnte, diese aber selbst auf Unterstützung angewiesen ist.
Humanitäre Lage in Afghanistan katastrophal
Eine aktuelle wissenschaftliche Analyse der Lage in Afghanistan hat ein Forschungsprojekt der Frankfurt University of Applied Sciences vorgelegt und betont: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan kann die Lage im Land nur als katastrophal und für viele Menschen als lebensbedrohlich bezeichnet werden. Nicht nur das politische System Afghanistans ist zusammengebrochen und die Sicherheitskräfte des Landes sind kollabiert, sondern es wurden auch das Verwaltungssystem, das Justizsystem, das Bildungssystem und alle Errungenschaften der Regierung der letzten 20 Jahre zerstört und beseitigt. Insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen wurden immer weiter eingeschränkt.“
Warum fliehen Kinder aus Afghanistan?
Die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes hat jetzt anlässlich des Weltkindertags auf die besondere Gefährdung von Kindern und Jugendlichen in Afghanistan aufmerksam gemacht und betont die Schutzverantwortung Deutschlands. Der tdh-Bericht »Sie sehen uns nicht als Menschen - Warum Kinder aus Afghanistan nach Deutschland fliehen« bietet Informationen zur aktuellen kinderrechtlichen Situation in Afghanistan und lässt ausführlich Kinder und Jugendliche aus Afghanistan zu Wort kommen, die in Deutschland Schutz suchen mussten und stellt die Frage in den Mittelpunkt, die in der Öffentlichkeit meist zu kurz kommt: Weshalb fliehen Kinder und Jugendliche nach Deutschland – wovor suchen sie Schutz? Er zeigt Widersprüche zwischen der realen Lage im Land und der öffentlichen Debatte in Deutschland auf.
Sind Afghan:innen in Deutschland akut von Abschiebung bedroht?
Ausgehend von der Situation in Berlin wollen wir eine Einschätzung abgegeben, insbesondere mit Blick auf als Minderjährige allein nach Berlin gekommene Afghan:innen. Von einer Abschiebung nach Afghanistan sind grundsätzlich nur Schutzsuchende bedroht, die „ausreisepflichtig“ sind, also nicht oder nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind bzw. sich auch nicht in einem Asylverfahren befinden.
Anerkannte Schutzsuchende müssen aktuell keine Abschiebung befürchten
Afghan:innen, die bereits länger hier leben und ihr Asylverfahren durchlaufen haben, sind zumeist im Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, weil sie im Asylverfahren Schutz zugesprochen bekommen haben. So haben bis Ende letzten Jahres de facto alle unbegleiteten Minderjährigen zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60, 5 AufenthG erhalten. Dies führt zur Erteilung einer befristeten humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz durch die Ausländerbehörde. Nach unseren bisherigen Erfahrungen hat die Berliner Ausländerbehörde die entsprechenden Aufenthaltserlaubnisse bei Fristablauf erneut um 3 Jahre verlängert. Insbesondere Mädchen und jungen Frauen haben zudem vom BAMF den besseren Flüchtlingsschutz zugesprochen worden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Frauen in Afghanistan als Gruppe politisch motiviert durch die Taliban verfolgt werden. Sollten Frauen und Mädchen im Asylverfahren keine Flüchtlingsanerkennung erhalten haben, ist ihnen zu empfehlen, sich zu einem Asylfolgeverfahren beraten zu lassen, um diesen Schutzstatus jetzt noch zu erhalten.
Alle Afghaninnen, die über einen Schutzstatus verfügen und eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis besitzen, sind nicht von Abschiebung bedroht. Ihr Aufenthalt ist rechtmäßig, sie dürfen sich frei in Deutschland bewegen, arbeiten, Sozialleistungen beziehen, zur Schule gehen, eine Ausbildung machen etc.
Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis möglich
Bei Erfüllung zusätzlicher sogenannter Integrationsleistungen, insbesondere Spracherwerb oder Aufnahme einer Ausbildung können gerade junge Geflüchtete nach 5 Jahren Aufenthalt in Deutschland eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten (§ 26 Abs. 4 Satz 4 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltG). Auch eine Einbürgerung ist dann in greifbarer Nähe.
Passbeschaffung zumutbar?
Seit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Taliban-treue Mitarbeiter in den Vertretungen Afghanistans in München, Bonn und Berlin werden auch wieder afghanische Nationalpässe erteilt und verlängert. Hatten bis Ende 2024 afghanische Geflüchtete in Berlin durch die Ausländerbehörde problemlos den sog. “grauen Pass” als deutsches Ersatzdokument erhalten, werden sie jetzt durch die Ausländerbehörde wieder aufgefordert, bei den Auslandsvertretungen Afghanistans zwecks Passbeschaffung vorstellig zu werden. Ob dies angesichts der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Taliban-treue Botschaftsmitarbeiter zumutbar ist, erscheint mehr als zweifelhaft.
BAMF: Widerrufsverfahren in Zukunft wahrscheinlich
Für die Zukunft rechnen wir damit, dass wegen des politischen Drucks, Abschiebungen nach Afghanistan möglich zu machen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Widerrufsverfahren bei Personen einleiten wird, denen in der Vergangenheit Schutz gewährt worden ist. Ein „Widerruf“ nach § 73 AsylG erfolgt aber nicht von heute auf morgen. Will das Bundesamt widerrufen, so muss es zunächst schriftlich den Betroffenen anhören. Dann sollte individuell und ausführlich hierzu Stellung genommen werden, am besten mit anwaltlicher Unterstützung. Sollte es dennoch zu einem Widerruf des Schutzstatus durch das Bundesamt kommen, kann dagegen beim Verwaltungsgericht geklagt werden. Eine solche Klage hat „aufschiebende Wirkung“. Das heißt, bist endgültig über den Widerruf entschieden ist, bleibt der Schutzstatus formalrechtlich bestehen. Dies hat zur Folge, dass die Ausländerbehörde während der Dauer eines Widerrufsverfahrens die Aufenthaltserlaubnis verlängern muss.
Rechtlich darf ein Widerruf nur erfolgen, wenn sich die der Schutzgewährung zugrundeliegende Sachlage “nachhaltig und beachtlich” verändert hat. Das Verwaltungsgericht des Saarlandes hat dies im Juni 2025 ganz klar verneint: “Wurde die Feststellung eines Abschiebungsverbotes darauf gestützt, dass eine prekäre wirtschaftliche Lage, Minderjährigkeit, Fehlen eines sozialen Netzwerks, Geburt außerhalb des Herkunftslandes vorliegt, erfodert ein Widerruf die Auseinandersetzung mit all diesen zugrundeliegenden Umständen. Allein der Wegfall der Minderjährigkeit reicht für einen Widerruf nicht aus” und ergänzt, dass weiterhin auch bei “leistungsfähigen, erwachsenen Männern” ein Abschiebungsverbot festzustellen ist. Lediglich wenn besonders begünstigende Umstände, wie ein tragfähiges soziales Netzwerk oder nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte vorliegen, wäre dies anders zu beurteilen.
Chancen für Niederlassungserlaubnis oder Einbürgerung nutzen!
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass derzeit die bereits hier lebenden afghanischen Schutzsuchenden, die über ein Aufenthaltsrecht verfügen, aktuell nicht von Abschiebung bedroht sind, sondern die Chance haben, auch dauerhaft in Deutschland bleiben zu können. Dies gilt selbst in dem Fall, dass das Bundesamt in Zukunft Widerrufsverfahren in Bezug auf den Schutzstatus einleiten sollte. Gerade junge volljährige Afghan:innen, die bereits länger als 5 Jahre in Deutschland leben, sollten sich beraten lassen, ob sie nicht die Voraussetzungen für eine unbefristete Niederlasssungserlaubnis. Diese kann für als minderjährig Eingereiste bereits dann erteilt werden, wenn ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache vorliegen und der Lebensunterhalt gesichert ist oder aktuell eine Ausbildung oder ein Studium absolviert.
Nur Afghan:innen mit Duldungsstatus potentiell von Abschiebung bedroht
Aktuell von Abschiebung bedroht sind allenfalls Afghan:innen, die nur noch über eine Duldung verfügen. Dies kann zum einen Personen betreffen, die (schwerere) Straftaten begangen haben. Straftaten können zum Entzug humanitärer Aufenthaltsrechte führen. Gleiches gilt für Personen, die als terroristische Gefährder gelten. Auch diesen kann ihr Aufenthaltsrecht entzogen. Wer nur über eine Duldung verfügt, sollte sich beraten lassen, ob eine Verbesserung des Aufenthaltsstatus möglich ist oder ob eine konkrete Abschiebegefahr bestehen könnte.
Unklare Situation für Afghan:innen im laufenden Asylerstverfahren
Afghanische Schutzsuchende, die erst neu in Deutschland angekommen sind und sich noch in einem Asylverfahren befinden, müssen zunächst den Ausgang des Asylverfahrens abwarten. Für die Dauer des Asylverfahrens ist ihr Aufenthalt in Deutschland gestattet und sind sie nicht von Abschiebung bedroht. Im Falle einer Ablehnung des Asylantrages durch das BAMF kann dagegen beim Verwaltungsgericht geklagt werden. Auch diese Klage hat aufschiebende Wirkung und der Aufenthalt bleibt bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichtes gestattet. Sollte auch die Klage keinen Erfolg haben, droht nicht unmittelbar eine Abschiebung. Vielmehr besteht - abhängig von der individuellen Situation - die Möglichkeit, ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht zu erhalten, z.B. über eine Ausbildung (§ 16g AufenthG: Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung einer Ausbildung alternativ Ausbildungsduldung, § 60c). Bei über dreijährigem Aufenthalt als junger Geflüchteter kann unter weiteren Voraussetzungen auch eine allgemeine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 in Betracht kommen.
Abschiebedebatte schürt Ängste
Die politische Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan versetzt viele Betroffene zu Recht in große Angst und Sorge. Dies ist Integrationsfeindlich, weil es den Betroffenen signalisiert, dass sie hier nicht gewollt sind. Damit befeuert die CDU-SPD-Koalition Ressentiments gegen Geflüchtete und übernimmt AfD-Positionen. Dennoch ist davon auszugehen, dass aktuell die allerwenigsten afghanischen Schutzsuchenden tatsächlich von baldiger Abschiebung bedroht sind. Bei Unsicherheit im Einzelfall macht es Sinn, sich an eine Beratungsstelle oder eine spezialisierte Anwaltskanzlei zu wenden. Vormund:innen/Pat:innen über akinda wenden sich gerne direkt an uns, wenn Fragen bestehen. Wichtig ist es, mit den jungen Geflüchteten ins Gespräch zu kommen, zu gucken, ob sie Ängste und Sorgen haben und gegebenenfalls verdeutlichen, wie ihre tatsächliche Situation ist.